KW39 (2024)

Ein wöchentlicher Überblick über Entwicklungen in der Tech-Welt – von Apple über Google bis hin zu Themen rund um Datenschutz und Privatsphäre. Ohne Marketing-Floskeln, dafür mit einer ordentlichen Prise Meinung. Zusammengestellt von Kai-Uwe Makowski und Lars Schimanski.

Das Bessere ist der Feind des Guten

Ben Thompson prägte bereits 2013 den Begriff „obsoletive“ für einen Vorgang, bei dem etwas gut funktionierendes durch etwas besseres abgelöst wird. Ein wichtiges Beispiel sind Mobiltelefone, die gleich eine ganze Reihe von Geräten wie Kameras, Uhren und mp3-Player zu Nischenprodukten herabgestuft haben.

„Most new products are simply better – stop calling them disruptive! – while the most revolutionary products – all of them, ever more personal versions of truly personal computers – are obsoletive. They are more expensive, more capable, and change the way we live.“

Thompson verwies kürzlich auf seinem Blog stratechery.com darauf, dass diese Entwicklung rund um unsere praktischen Taschencomputer weiter anhält, indem die Hersteller die Geräte immer weiter entwickeln und ihnen neue Funktionen hinzufügen.

„The smartphone was, and remains, the perfect product: it is with you all the time, constantly connected, and increasingly capable and extendable. This both means that the utility-to-dollar-spent ratio is hugely positive, even for phones that cost well into the four-figures, and also continues to accentuate the advantages of integration, which makes these new capabilities possible.“

Einige Smartphones der Firma Google verfügen seit Ende 2023 über einen Temperatursensor. Ich bin mir sicher, auch diese Funktion macht irgendeine Geräteklasse obsolet. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, welche das sein könnte.

Die Geschichte einer Hardware-Taste

John Gruber geht in einem fulminanten Werk auf daringfireball.net detailliert auf die allgemeine Entwicklung von Hardware-Tasten der frühen Smartphones ein, um sich dann tiefgreifend der neuen Camera Control des iPhone 16 zu widmen.

Gruber stellt unter anderem fest, dass Apples Kamera-App aus seiner Sicht eine der am besten designten Apps und vermutlich das meist kopierte Interface der Smartphone-Geschichte sein dürfte.

Apple’s Camera app is one of the best — and best-designed — pieces of software the world has ever seen. It’s arguably the most-copied interface the world has ever seen, too. You’d be hard-pressed to find a single premium Android phone whose built-in camera app doesn’t look like Apple’s, usually right down to the yellow accent color for text labels.

Manche Dinge muss erst jemand aussprechen, bevor es einem wie Schuppen von den Augen fällt. Zur Überprüfung kurz die Kamera-App des Google Pixel geöffnet und: der Mann hat vollkommen recht. Die Ähnlichkeit beider Interfaces ist nicht von der Hand zu weisen.

Weiter geht Gruber darauf ein, dass Apple mit dem iPhone 16 das erste mal eine Hardware-Taste einführt, die mit einer einzigen Funktion verknüpft ist. Dies erklärt auch, weshalb er (als Tech-Analyst) dieser eher unscheinbaren Neuerung so viel Aufmerksamkeit widmet.

„As I emphasized above, only in the 18th hardware revision has Apple added a hardware control dedicated to a single application. I don’t expect Apple to do it again. I do expect Apple’s rivals to copy Camera Control shamelessly.

Im weiteren Verlauf beschreibt der Autor detailliert seine ersten Erfahrungen mit dem neuen iPhone und endet mit einer wenig überraschenden Einschätzung.

What’s obvious is that Camera Control clearly was conceived of, designed, and engineered by photography aficionados within Apple who are intimately familiar with how great dedicated cameras work and feel. It surely must have been championed, politically, by the same group. It’s really just rather astounding that there is now a hardware control dedicated to photography on all new iPhones — and a mechanically complex control at that.

Der Rest des Artikels ist ebenfalls lesenswert, wenn man eine fundierte und munter geschriebene Einschätzung über das iPhone 16 sucht.

Nichts zu verbergen

Nach ihren Privatsphäreeinstellungen gefragte Menschen antworten oft mit „Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Das ist ein Desaster, aber heute nicht Thema. Ganz im Gegenteil. Was machen eigentlich Menschen, die etwas zu verbergen haben? Zum Beispiel Verbrecher? Die nutzen gerne Kommunikationsmethoden, die als ganz besonders sicher und geheim vermarktet werden. Wie Joseph Cox in seinem Buch „Dark Wire“ dargelegt hat, sind diese Methoden aber ein Honigtopf für Ermittler, weil die Nutzer dieser digitalen Werkzeuge laut rufen „Ich habe etwas zu verbergen“.

Die Story auf wired.com: https://www.wired.com/story/inside-biggest-fbi-sting-operation-in-history/

Die besonders dämlichen Verbrecher lesen aber keine Bücher und machen den gleichen Fehler immer wieder.

Fazit: Auch wer kein Verbrecher ist, hat etwas zu verbergen. Das nennt sich Privatsphäre und deren Schutz ist ein Grundrecht.

Product Fails: Das Sonos Desaster

Sonos ist ein US-amerikanischer Hersteller von Lautsprechersystemen. Zur Steuerung der eigenen Produkte bietet Sonos außerdem eine mobile App an. Im Mai 2024 veröffentlichte Sonos ein Update der App. Dieses Update stieß bei den Nutzern auf massive Kritik. Eine Rückkehr zur alten App war laut dem Sonos-CEO nicht möglich. Die Folge des App-Updates war eine massive Vernichtung von Börsenwert, die Entlassung vieler Angestellter und nicht zuletzt ein Verlust an Ansehen der Marke Sonos. Ein halbes Jahr später erfahren wir mehr darüber, wie es zu diesem Desaster kommen konnte.

One reason for the app’s failure is the outdated code and infrastructure that the prior app was running on. Anonymous employees Bloomberg spoke with claimed that the Sonos app’s technical debt had been building up for 20 years before the update.

Q: https://arstechnica.com/gadgets/2024/09/it-was-the-wrong-decision-employees-discuss-sonos-rushed-app-debacle

Technical Dept (technische Schulden) ist bei digitalen Produkten eine Bezeichnung für Optimierungen an der Codebasis, die eigentlich gemacht werden sollten, aber aus verschiedenen Gründen nicht erledigt werden. Das Produkt funktioniert eine Weile auch ohne diese Optimierungen. Aber wie bei finanziellen Schulden summieren sich die technischen Schulden nicht nur, man zahlt auch Zinsen darauf. Am Beispiel Sonos wird deutlich, wohin es führen kann, wenn diese Schulden nie beglichen werden.

„Three former workers who recently worked there pointed to „yelling” and “screaming” in meetings as employees tried to warn higher-ups. Employees claimed that Sonos’ desire to get new customers and please investors was becoming more important than ensuring that old hardware would work properly with the new app.
[…]
Additionally, two people told Bloomberg that one former employee who worked on the app said during a meeting that they were worried about losing their job if they kept questioning the app’s release.“

Q: https://arstechnica.com/gadgets/2024/09/it-was-the-wrong-decision-employees-discuss-sonos-rushed-app-debacle

Diese Aussagen zeigen auf eine zweite, gut bekannte Ursache für „product-fails“. Nicht nur überstimmt die Managementebene die Einwände des technischen Personals, ganz im Gegenteil führt eine toxische Firmenkultur dazu, dass Einwände nicht einmal mehr erhoben werden. Die zwei Einsichten, die sich aus dem Sonos-Desaster ableiten lassen, sind nicht neu:

  1. Der Produkterfolg hängt von der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Management und dem technischen Personal ab.
  2. Wenn eine App ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells ist, dann darf an dieser Stelle nicht gespart werden.